Christian Wück (52) geht in sein erstes großes Turnier als Bundestrainer der DFB-Frauen. Im Interview spricht er über die Ziele für die Frauen-EM 2025 in der Schweiz (2. bis 27. Juli), die Unterschiede zum Juniorenbereich und die großen Fußstapfen der ehemaligen Nationalspielerin Alexandra Popp.
Die EM steht bevor. Was muss in der Schweiz passieren, damit Sie am Ende von einem erfolgreichen Turnier sprechen?
Christian Wück (Bundestrainer): „Diese Trophäe in der Hand zu halten, wäre ein absoluter Erfolg. Für mich als Trainer zählt auch die Art und Weise. Ein ganz wichtiger Punkt ist, wie wir als Mannschaft auf und neben dem Platz auftreten. Wir wollen die deutsche Identität sehen. Wir wollen den Spielstil, an dem wir seit dem Vorjahr arbeiten, sehen und uns nicht verbiegen. Es geht auch darum, eine Nation hinter sich zu bekommen und Euphorie zu entfachen. Wir wissen, dass wir eine große Verantwortung haben gegenüber dem Frauenfußball in Deutschland. Mit einer erfolgreichen EM können wir sehr viele Kinder dazu bringen, in Vereine einzutreten. Das ist auch ein Aspekt, der für mich eine erfolgreiche EM ausmacht.“
Welche Zielsetzung haben Sie intern formuliert?
Wück: „Wir dürfen nicht nur davon reden, zur EM zu fahren und erfolgreich zu sein, sondern müssen es wirklich in uns spüren. Das Ziel ist, dass wir davon träumen, diesen Titel zu holen, wie es ist, wenn wir durch das Spalier gehen und die Medaillen bekommen. Diese Überzeugung ist ein zentraler Baustein. Ich spüre, dass viele Spielerinnen mittlerweile daran glauben. Die Spiele zuletzt waren der Schlüssel, um diese Überzeugung zu gewinnen. Wir leben es vor im Trainerinnen-Team. Und ich glaube schon, dass der Funke auch bei den Spielerinnen angekommen ist.“
Die fehlende Konstanz war eines der Hauptprobleme. Vor allem gegen die Niederlande (4:0) wirkte das aber deutlich besser.
Wück: „Die Spielerinnen müssen verstehen, dass sie in jedem Spiel eine hohe Intensität an den Tag legen müssen. Wir haben gegen die Niederländerinnen das beste Spiel seit über drei Jahren in der Rubrik ‚Sprintmeter über unseren vorgegebenen Wert‘ gemacht. Es ist wichtig, dass wir diese Intensität mit und gegen den Ball haben. Das hat uns Deutsche immer ausgezeichnet: Dass wir griffig waren, dass wir aktiv waren. In diesem Spiel hat die Mannschaft selbst gemerkt, dass wir in der Lage sind, diese Intensität über 90 Minuten aufrechtzuhalten. Das war aus meiner Sicht das größte Learning.“
Sollte das auch in der Schweiz gelingen, gehört Deutschland dann zu den Turnierfavoriten?
Wück: „Es wird eine sehr hochklassige EM. Viele Mannschaften haben sich weiterentwickelt, bei vielen Spielen wird die Tagesform entscheiden, vielleicht auch das Spielglück. Es war bei den letzten Turnieren, egal ob bei den Männern oder Frauen, immer so, dass es eine Überraschungsmannschaft gab. Dann gibt es die üblichen Verdächtigen: England, Frankreich, Spanien, Schweden. Auch die Niederlande können trotz der Nations-League-Ergebnisse ein Wörtchen mitreden. Es ist keine Überraschung, dass die großen Nationen immer zu den Favoriten gehören. Ich zähle uns auch dazu.“
Bei der EURO 2022 ist Alexandra Popp herausgestochen. Wem trauen Sie diesmal den Sprung ins Rampenlicht zu?
Wück: „Bei uns sind viele Spielerinnen in der Lage, diese herausragende Qualität in den Spielen zu zeigen. Ich hoffe, dass wir in jedem Spiel eine andere haben, dass es einmal Klara Bühl ist, dann im nächsten Spiel Lea Schüller, dann vielleicht Sjoeke Nüsken oder Janina Minge. Beim EM-Titel 2023 mit der U17 hatten wir sieben deutsche Spieler in der Elf des Turniers. Wenn wir ähnliches mit den Mädels hinbekommen, dann können wir auch sehr, sehr weit kommen.“
Nach den Erfolgen im U-Bereich des DFB war der Schritt zu den Frauen etwas Neues. Wie waren Ihre Erwartungen – und wie sieht die Realität aus?
Wück: „Die Unterschiede sind gering. Der Austausch untereinander ist anders als bei der Jugend. Im U-Bereich wollten wir der Mannschaft nichts überstülpen, womit sie sich nicht identifizieren kann. Deshalb brauchen wir auch das Feedback der Spielerinnen und Spieler. Das ist im Junioren-Bereich sehr schwierig – naturgemäß. Ein Jugendlicher in der Pubertät ist nicht so gesprächig wie eine gestandene Spielerin in der A-Nationalmannschaft. Bei den Frauen hatten wir manchmal Sitzungen, in denen sehr viel Input und sehr viele Meinungen vonseiten der Mannschaft kamen. Das war ich so nicht gewohnt. Aber es ist sehr hilfreich, wenn man viel Feedback bekommt.“
Die Kritik von Felicitias Rauch und Nicole Anyomi an Ihrer Kommunikation sorgte für Unruhe. Es gab ein klärendes Gespräch. Welche Lehren haben Sie gezogen?
Wück: „Für mich war es die Bestätigung, wie wichtig klare Kommunikation ist. Ich habe die Irritation ziemlich schnell aus dem Weg geräumt, das war intern dann schnell aufgearbeitet. Vielleicht händele ich die Herangehensweise an Nominierungen anders, als es eine Martina Voss-Tecklenburg, ein Horst Hrubesch oder eine Silvia Neid gemacht haben. Es erfolgt eben kein Anruf, wenn sich der Status einer Spielerin zwischen den Lehrgängen nicht verändert hat. Kommunikation ist aber keine Einbahnstraße. Ich habe mein Handy immer bei mir, meine Handynummer ist bekannt, ich kann ja auch angerufen werden. Wir konnten alles gemeinsam klären und gehen davon aus, dass solche Irritationen nicht mehr stattfinden werden.“
Nach den Rücktritten von Alexandra Popp und anderen langjährigen Spielerinnen fehlt mit Lena Oberdorf bei der EM eine weitere Führungsfigur. Wie wollen Sie das auffangen?
Wück: „Wir haben einige Führungsspielerinnen im Team. Giulia Gwinn als Kapitänin, Janina Minge als Stellvertreterin. Das sind zwei, die vielleicht anders führen als Alexandra Popp, aber sie führen. Es sind nicht die lauten Worte, es sind die kleinen Gesten, die mir schon auffallen. Es ist imposant, wie auch damit Einfluss genommen werden kann. Auch Sjoeke Nüsken ist auf einem richtig guten Weg dahin, nicht nur spielerisch, auch mit ihrer Art, Kommandos zu geben. Ich traue ihr eine Führungsrolle definitiv zu. Wir werden keine zweite Alex Popp mehr sehen auf dem Platz und ‚Obi‘ auch nicht zu 100 Prozent ersetzen können. Aber wir werden es auf mehrere Schultern verteilen.“
Welchen Stellenwert hat die anstehende EURO für Sie persönlich?
Wück: „Ich hatte das große Glück, beim DFB im Juniorenbereich mit der U17 und U18 schon einige Europameisterschaften und Weltmeisterschaften zu spielen. Alle sind mir in Erinnerung geblieben. Es waren Erlebnisse, die außergewöhnlich waren. Eine Europameisterschaft spielt man alle vier Jahre. Natürlich entsteht ein gewisser Erwartungsdruck, aber es kommt darauf an wie ich mit diesem Druck umgehe. Meine Einstellung dazu ist entscheidend, die Situation bleibt gleich. Wir sind uns der Verantwortung bewusst, denn wir wissen, dass ganz viele Deutsche in die Schweiz reisen werden, um uns zu unterstützen. Auch hoffen wir, dass sehr viele am Fernseher die Daumen drücken. Es ist ein Ziel von uns, eine Euphorie zu entfachen in Deutschland. Ich bin glücklich, froh und stolz, aktiv dabei zu sein.“
(Mit Material vom SID)