Die Moral stimmt: Mit ihrem Siegeswillen und dank Pascal Groß hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihre EM-Generalprobe noch eben so erfolgreich gestaltet. Der Profi von Brighton & Hove Albion sicherte der Elf von Julian Nagelsmann nach einer grauenhaften ersten Halbzeit ein schmeichelhaftes 2:1 (0:1) gegen Griechenland, doch eine Woche vor dem Auftakt bei der EM 2024 hat der Bundestrainer plötzlich eine Torhüter-Diskussion um Manuel Neuer am Hals.
Der langjährige Kapitän patzte wie zuletzt im Verein auch in Mönchengladbach. Dabei sollte sich Nagelsmanns Endrunden-Elf mit den Rückkehrern Antonio Rüdiger und Toni Kroos für Startgegner Schottland warm spielen und die Begeisterung weiter anheizen. Immerhin: Am Ende tanzten die Fans zur inoffiziellen EM-Hymne „Major Tom“ – wenn auch noch nicht völlig losgelöst.
„Man weiß, dass im Fußball auch schlechte Halbzeiten dazu gehören. Wir sind nicht so gut, wie wir zuletzt gemacht wurden – aber auch nicht so schlecht, wie wir davor gemacht wurden“, sagte Rückkehrer Kroos bei RTL: „In der ersten Halbzeit haben wir viele Bälle hergeschenkt, da sind wir in zwei, drei Konter gelaufen.“
Doch nach Neuers Patzer und dem 0:1 durch Giorgos Masouras (34.) wurde es erst mit den Wechseln in der zweiten Halbzeit etwas besser. Kai Havertz (56.) glich aus und nahm zumindest der Neuner-Debatte die Schärfe. Der eingewechselte Benjamin Henrichs traf die Latte (83.), ehe Groß mit seinem ersten Länderspieltor doch noch das ersehnte Erfolgserlebnis herstellte.
DFB-Startelf gegen Griechenland keine große Überraschung
Kurz vor dem Anpfiff erklärte Nagelsmann die Streichung von Torwart Alexander Nübel für die EM: Wegen der hartnäckigen Schambein-Blessur von Leroy Sane habe er „umdisponieren“ müssen und entschieden, anstelle eines vierten Keepers „einen Feldspieler mehr“ mitzunehmen. „Der Kader steht, die Mannschaft auch“, sagte der Bundestrainer, seine Startelf war alles andere als eine Überraschung.
Seinem „Gerüst“ gab er einen klaren Auftrag: Eine „bessere Strafraumbesetzung“ als beim 0:0 gegen die Ukraine am Montag sollte es sein. Doch nach einem schlimmen Fehlpass von Florian Wirtz brannte es im deutschen Strafraum, Neuer rettete stark gegen den Düsseldorfer Christos Tzolis (6.).
Trotz der Kroos-Rückkehr fehlte die Passschärfe. Nagelsmann stapfte wütend durch seine Coachingzone und versuchte verzweifelt, das Spiel zu ordnen. Die Abwehr zeigte sich anfällig, dem Angriff fehlten es gegen das massive 4-4-2 der Nummer 50 der Weltrangliste an Tempo.
Nach einer knappen halben Stunde waren erste Pfiffe zu vernehmen, Nagelsmann schimpfte. Vor dem 0:1 zwangen die pressenden Griechen Jonathan Tah zu einem Ballverlust, Rüdiger fälschte Tzolis‘ Schuss ab, Neuer ließ ihn von der Brust prallen – Masouras vollstreckte eiskalt. „Ein grober Schnitzer“, urteilte RTL-Experte Lothar Matthäus.
Der Rückstand wirkte als Wachmacher. Nach einem Kroos-Freistoß verfehlte Tah das gegnerische Tor per Kopf knapp (40.), Havertz stand beim vermeintlichen Ausgleich nach der ersten gelungenen Kombination im Abseits (43.). In der Pause wurde „Griechischer Wein“ gespielt, Nagelsmann wäre wohl selbst gerne in das von Udo Jürgens besungene Wirtshaus eingekehrt.
Schlussphase glich einem offenen Schlagabtausch
Stattdessen griff er auf dem Platz ein, brachte mit Wiederbeginn Sane, dessen Drei-Spiele-Sperre endete, und David Raum – beide waren zuletzt angeschlagen. Joshua Kimmich verhinderte gegen Tzolis das 0:2 (46.), die Gäste hatten weitere Gelegenheiten. Der Ausgleich war das Produkt einer schnellen Kombination über Robert Andrich, Kapitän Ilkay Gündogan und Sane, Havertz traf aus der Drehung.
Neuer musste abermals gegen Tzolis retten (63.), ehe Nagelsmann weitere Ergänzungsspieler wie die Dortmunder Niclas Füllkrug und Nico Schlotterbeck brachte. Die Schlussphase glich einem offenen Schlagabtausch mit wütenden deutschen Angriffen und griechischen Kontern. Der eingewechselte Benjamin Henrichs traf in der 83. Minute die Latte. Dann traf Groß.
Die Nationalmannschaft kommt ab Montag wieder in ihrem Team Base Camp in Herzogenaurach zusammen. Am 14. Juni eröffnet Deutschland die EM 2024 mit dem Spiel gegen Schottland in München. Es folgen die Gruppenspiele am 19. Juni gegen Ungarn in Stuttgart und am 23. Juni gegen die Schweiz in Frankfurt.
Stimmen zum Länderspiel gegen Griechenland
Julian Nagelsmann (Bundestrainer, bei RTL): „Wir hatten in der ersten Halbzeit erstmals seit langem wieder viele Ballverluste, die haben oft zu Kontern geführt. Wir haben auch im Spiel mit Ball viel zu viel durchs Zentrum und zu langsam gespielt, das haben wir auch in der Pause angesprochen. In der zweiten Hälfte war viel mehr Schärfe drin. Der Sieg ist schon wichtig für die Gesamtstimmung, das hat man auch im Stadion gemerkt. Und am Ende war er auch verdient. Ich lasse keine Diskussion um Manuel Neuer aufkommen, auch wenn es jeder probiert. Wenn ein Fehler passiert, ist es leicht zu sagen, dass es der Manu war. Am Ende war es eine Fehlerkette. Er hat drei gute Paraden gehabt, alles ist in Ordnung.“
Ilkay Gündogan (Kapitän, bei RTL): „Es war buchstäblich ein Test. Die erste Halbzeit war träge, das wurde eiskalt bestraft, das haben die Griechen gut gemacht. Trotzdem ist das nicht unser Maßstab. Zum Glück haben wir noch das 2:1 gemacht und das Spiel gewonnen. Julian Nagelsmann hat in der Halbzeit eine Ansage gemacht und ermahnt, dass das so nächste Woche auch eintreten kann. Deswegen darf man sich so eine erste Halbzeit nicht erlauben. Wichtig war, dass wir die Zuschauer mit dem Tor glücklich nach Hause schicken konnten. Wir brauchen die Zuschauer, das wird uns pushen. Wir können aus den beiden Spielen viele Lehren für das Turnier ziehen. Ich sehe das nicht so negativ, das ist ein Lernprozess, die Sinne sind geschärft.“
Manuel Neuer (Nationalspieler, bei RTL): „Wir hätten viele Situationen besser ausspielen können, das müssen wir besser machen. In der zweiten Halbzeit haben wir uns gute Chancen herausgespielt, wir waren am Drücker. Da hat man gemerkt, dass wir das Spiel gewinnen wollen.“
Neuer zu seinem Fehler: „Da gehören immer mehrere dazu, aber ich schaue jetzt auf mich: Ich hätte ihn besser wegbringen müssen.“
Toni Kroos (Nationalspieler, bei RTL): „Man weiß, dass im Fußball auch schlechte Halbzeiten dazu gehören. Wir sind nicht so gut, wie wir zuletzt gemacht wurden – aber auch nicht so schlecht, wie wir davor gemacht wurden. In der ersten Halbzeit haben wir viele Bälle hergeschenkt, da sind wir in zwei, drei Konter gelaufen. Dann waren wir etwas konzentrierter, und dann sieht es auch etwas besser aus.“
Die deutsche Mannschaft in der Einzelkritik
Manuel Neuer: Erst zeigte er eine sensationelle Doppelparade gegen Tzolis (7.), dann ließ er vor dem 0:1 einen harmlosen Schuss kurios zur Seite prallen. – Note: 5
Joshua Kimmich: Die richtige Einstellung bringt der Rechtsverteidiger immer mit. Offensive Impulse gingen aber auch von ihm nicht aus. Zu Beginn der zweiten Halbzeit sehr aufmerksam gegen Tzolis. – Note: 4.
Jonathan Tah: Er soll mit Rüdiger das EM-Bollwerk in der Innenverteidigung bilden, wirkte aber fahrig. Spielte einmal unbedrängt einen Pass ins Seitenaus, folgenschwerer Ballverlust vor dem 0:1. – Note: 4,5.
Antonio Rüdiger: Der Abwehrchef wurde phasenweise sogar zum verzweifelten Flankengeber von der rechten Seite. Auch defensiv nicht in gewohnter Souveränität, verlor den Ball gefährlich an Tzolis (64.). Allerdings immer bemüht, die Kollegen mitzureißen. – Note: 4,5.
Maximilian Mittelstädt: Unauffällig in dem Sinne, dass ihm keine dramatischen Fehler unterliefen. Andere sahen da schlechter aus. Dennoch wie seine Teamkollegen ohne Schwung. Zur zweiten Halbzeit von David Raum ersetzt. – Note: 4.
Robert Andrich: Begann mit mehreren ungewohnten Ballverlusten. Gab dem defensiven Mittelfeld auch keine Ruhe. Das fällt besonders auf, wenn Kroos mal aus dem Spiel genommen wird. – Note: 5.
Toni Kroos: Ganz tief links auf seiner Real-Madrid-Position, fast auf Höhe der Innenverteidiger. Um Struktur bemüht, aber immer manngedeckt und daher quasi wirkungslos. Erstaunlicherweise kein Faktor im deutschen Spiel, auch nicht bei Standards. – Note: 4.
Jamal Musiala: Hatte stets ein bis zwei Gegenspieler auf den Füßen, die Befreiung aus der Deckung gelang selten. Dennoch gab er den ersten Schuss aufs gegnerische Tor ab (22.). Wirkte platt und uninspiriert, wurde in der zweiten Halbzeit besser. – Note: 4.
Ilkay Gündogan: In ohnehin unauffälliger Rolle zwischen Wirtz und Musiala fehlt dem Kapitän sichtlich die Frische. Schaffte es nicht, die rätselhaft leblose Mannschaft wachzurütteln. – Note: 4,5.
Florian Wirtz: Sein schlimmer Querpass im Mittelfeld hätte beinahe das 0:1 eingeleitet. Vorne gab es für ihn mit Ball keinen Weg in den Strafraum. Blieb zur Pause in der Kabine. – Note: 4,5.
Kai Havertz: Im Sturmzentrum vorerst vor Niclas Füllkrug gesetzt. Ließ sich zurückfallen, weil er selten angespielt wurde. Sein erstes Tor fiel noch aus Abseitsposition (43.), dann traf er aus der Drehung. Später als Zehner hinter Füllkrug positioniert. – Note: 3.
Leroy Sane: Zur 46. Minute für Florian Wirtz eingewechselt. Erster Einsatz nach seiner Drei-Spiele-Sperre. Gab den klugen Pass auf Havertz vor dem Ausgleich, war belebend und stand defensiv einmal goldrichtig. – Note: 2,5.
David Raum: Kam zur zweiten Halbzeit für Maximilian Mittelstädt und machte vorne mehr Betrieb. Die Hereingaben waren allerdings nicht präzise. – Note: 3,5.
Pascal Groß: Ersetzte für rund 20 Minuten Andrich neben Kroos, traf spät zum Sieg. – ohne Note.
Niclas Füllkrug: Nach 68 Minuten für das Sturmzentrum eingewechselt, Havertz rückte eine Position nach hinten. – ohne Note.
Benjamin Henrichs: Verschaffte Kimmich rechts hinten noch eine Pause vor Turnierbeginn. Traf kurz vor Schluss die Latte (83.). – ohne Note.
Nico Schlotterbeck: Der Dortmunder kam für Tah ins Spiel. Beendete kurz drauf einen griechischen Konter alleine gegen zwei Gegner. – ohne Note.
Statistik
Deutschland – Griechenland 2:1 (0:1)
Tore: 0:1 Masouras (34.), 1:1 Havertz (56.), 2:1 Groß (89.)
Zuschauer: 45.488 (ausverkauft) in Mönchengladbach.
(Mit Material vom SID)