EM 2024: DFB-Team unterliegt Spanien nach Verlängerung

Der dreimalige Europameister Deutschland verlor im Viertelfinale der EM 2024 gegen den ewigen Angstgegner Spanien 1:2 nach Verlängerung und spielt im letzten Kapitel seiner Heim-EM keine Rolle mehr.

Nach dem Endpunkt eines furchtbaren Dramas raffte sich Julian Nagelsmann als Erster wieder auf. Der Bundestrainer klatschte seine am Boden zerstörten Spieler ab, er nahm sie alle in den Arm, der Reihe nach: Toni Kroos, dessen Weltkarriere einen so tragischen Abschluss fand, Antonio Rüdiger, Manuel Neuer. Sie alle konnten nicht fassen, was in diesem gewaltigen Viertelfinale von Stuttgart passiert war: der krachende K.o.-Schlag kurz vor dem Gong, nach heldenhaftem Kampf. Aus und Stecker raus: Das Sommermärchen ist vorbei.

Turnieraus überwiegt in diesem Moment

„Wir haben alle alles reingelegt, um nicht zu verlieren“, sagte Kroos mit glasigem Blick bei MagentaTV: „Wir waren sehr nah dran, umso bitterer ist es.“ Sein Karriereende stehe gerade im Hintergrund, „im Moment überwiegt das Turnieraus. Wir hatten alle ein gemeinsames Ziel, dieser Traum, den wir alle hatten, ist geplatzt.“ Das kämpferisch überragende Team setzte der spielerischen Extraklasse des großen Turnierfavoriten viel Mut und Leidenschaft entgegen, kam kurz vor dem Abpfiff zurück – und war am Ende doch geschlagen.

Dem deutschen Spiel fehlten noch zu Beginn Sicherheit und Präzision, was Dani Olmo (51.) in aufgeheizter Stimmung mit dem ersten Tor bestrafte. Florian Wirtz (89.) aber schlug mit 77 km/h zurück, die Fans flippten aus – bis der frühere Dortmunder Mikel Merino sie ins Herz traf (119.). Damit spielt Spanien, wo Deutschland allzu gerne gespielt hätte: im Halbfinale am Dienstag in München gegen Frankreich oder Portugal. In der Nachspielzeit der Verlängerung sah Dani Carvajal noch Gelb-Rot (120.+6).

Nagelsmann und die Mannschaft verabschiedeten sich enttäuscht, aber erhobenen Hauptes von ihren Fans, für einige war es wohl das letzte Mal. Zumindest die Welt-Karriere von Toni Kroos ist beendet – nach 114 Länderspielen und insgesamt 34 Titeln blieb dem erfolgreichsten deutschen Fußballer jemals der EM-Pokal verwehrt. Seinen Vertrag bei Real Madrid hatte der 34-Jährige nicht mehr verlängert. Für Manuel Neuer und Thomas Müller könnte es zudem das letzte Länderspiel gewesen sein: das Ende einer Ära.

Nagelsmann sitzt fest im Sattel. Ohnehin läuft sein Vertrag bis zur WM 2026, er kann in der Analyse darauf verweisen, der Mannschaft Stabilität gegeben und ein mitreißendes Team aufgestellt zu haben. Deutschland hat die Fans begeistert, nicht nur, aber besonders beim 5:1 gegen Schottland im Eröffnungsspiel. Das ehrenhafte Aus gibt wenig Anlass zur Kritik: Noch im November hatte die DFB-Elf komplett am Boden gelegen. Julian Nagelsmann kann Nationalmannschaft, auch wenn es im Viertelfinale nicht gelang, eine „alte Festplatte“ zu überschreiben.

Ebendies hatte der Bundestrainer seiner Mannschaft nach den vielen bitteren Niederlagen gegen Spanien aufzutragen versucht. Das EM-Finale 2008, das WM-Halbfinale 2010, das blamable 0:6 in der Nations League 2020 waren unvergessen – nun ist der Status des Angstgegners zementiert.

Nagelsmann wartete in Stuttgart mit einer dicken Aufstellungsüberraschung auf. Dass Jonathan Tah nach Gelbsperre zurückkehrte, war erwartet worden, Leroy Sane hatte schon im Achtelfinale gegen Dänemark (2:0) anstelle von Wirtz begonnen. Aber der nachnominierte Emre Can neben Kroos? Das war ein Ding! Robert Andrich, frisch pink gefärbt auf dem Kopf, saß auf der Bank. Nagelsmann begründete dies mit Cans Schnelligkeit, er forderte „den Mut“ ein, „an uns zu glauben“.

Das Spielgeschehen im Viertelfinale gegen Spanien

Nach einem Gebet vor dem Anpfiff aber leistete sich Can sofort den ersten Ballverlust, nach nur 53 Sekunden gab Pedri den ersten Schuss zentral auf Neuer ab. Kurz darauf musste der Zauberer vom FC Barcelona den Platz verlassen: Kroos hatte ihn hart gefoult, kam aber ohne Karte davon. Der spätere Torschütze Olmo (RB Leipzig) ersetzte Pedri, der den Tränen nahe war.

Im Mittelfeld begann die erwartete Schlacht um den Ballbesitz, die Spanien mit Olmo, dem Ausnahmesechser Rodri und dem von Can eng bewachten Fabian Ruiz führte. Kroos und Gündogan hielten dagegen, doch das spanische Pressing war stark. Supertalent Lamine Yamal, gerade 16 Jahre alt, setzte einen Freistoß klar daneben (15.), Ruiz schoss übers Tor. Die beste Nachricht war: Die erhofften Räume hinter den gegnerischen Ketten gab es tatsächlich, David Raum brachte aber von links zwei Hereingaben nicht an den Mann. Kai Havertz platzierte einen ersten Kopfball gut aufs Tor (21.).

Die deutsche Mannschaft erholte sich ein wenig, als Spanien die Pressingschrauben löste, setzte sich mal über Standards fest. Doch sobald der Ball im Spiel war, agierte der Favorit zumeist überlegen, Can hingegen hatte aus Dortmund bekannte Probleme mit der Ballsicherheit. In der Abwehr spielten Raum und Rüdiger früh verwarnt. Neuer tauchte gegen Nico Williams meisterhaft ins kurze Eck ab – es war aber Abseits (36.). Einen Olmo-Gewaltschuss ließ er nach vorne prallen (39.).

Nagelsmann korrigierte seine Entscheidungen: Wirtz und Andrich kamen positionsgetreu für Can und Sane, doch es spielte: Spanien. Alvaro Morata (47.) drehte sich um Tah, da fehlte nicht viel – dann allerdings kam Andrich nach einem Yamal-Querpass zu spät gegen Olmo, der aus rund 15 Metern flach einschob. Der deutsche „Kumpelfußball“ kam auf den härtesten Prüfstand, fast nichts war mehr „völlig lösgelöst“. Füllkrug sollte im Strafraum nun neben Havertz eine der vielen Flanken verwerten, und Nagelsmann ließ pressen.

Es entstand eine mächtige deutsche Druckphase, in der Carvajal in höchster Not in einen Havertz-Schuss grätschen musste. Spaniens Torhüter Unai Simon flog einem Ball von Andrich hinterher, Füllkrug traf aus kurzer Distanz den Pfosten (77.), Havertz lupfte über die Latte (82.). Dann begann das Drama der Verlängerung: mit einem ganz bitteren Ende. Dabei hätte es nach einem Handspiel von Marc Cucurella (106.) sogar Elfmeter geben können – der englische Schiedsrichter Anthony Taylor entschied sich dagegen.

Die deutsche Mannschaft in der Einzelkritik

Manuel Neuer: Schon in der ersten Halbzeit häufig geprüft. Machte dabei bis auf eine Ausnahme einen sicheren Eindruck. Bei den Gegentoren ohne Chance. – Note: 3

Joshua Kimmich: Machte es auf seiner Seite gegen den schnellen Williams gut. Bereitete auch die erste große Chance von Havertz vor. Leistete ein enormes Pensum. Bereitete das Tor von Wirtz vor. – Note: 2

Antonio Rüdiger: Ging wie gewohnt keinem Zweikampf aus dem Weg. Sah aber früh die zweite Gelbe Karte im Turnierverlauf. Schonte sich aber auch danach nicht. Unterlief den Ball beim 1:2 – Note: 3

Jonathan Tah: Kehrt nach seiner Gelbsperre zurück. Bekam es meist mit Morata zu tun. Ließ sich manchmal zu früh aus der Position locken. Störte Morata bei dessen Chance kurz nach der Pause nicht energisch genug. – Note: 4

David Raum: Traf links auf den erst 16-jährigen Lamine Yamal. Defensiv vor der Pause sehr aufmerksam. Bei seinen Vorstößen zu unpräzise. Vor dem Gegentreffer zu zögerlich. – Note: 4

Emre Can: Erhielt überraschend den Vorzug gegenüber Andrich aufgrund seiner laut Nagelsmann „enormen Geschwindigkeit“. Leistete sich nach wenigen Sekunden eine Schwalbe. War überfordert mit dem Tempo des Spiels. Blieb nach der Pause in der Kabine. – Note: 5

Toni Kroos: Langte direkt gegen Pedri hin. Dieser musste danach ausgewechselt werden. War defensiv in ungewohnt viele Zweikämpfe verwickelt. Im Spiel nach vorne manchmal zu ungenau. Seine Karriere endete damit bitter. – Note: 3,5

Leroy Sane: Durfte erneut von Beginn an ran. Offensiv fehlte ihm aber komplett die Bindung zum Spiel. Positiv war nur, dass er viel nach hinten arbeitete. Räumte nach 45 Minuten seinen Platz. – Note: 4,5

Ilkay Gündogan: Wirkte in einigen Situationen nicht wach genug, leitete dann aber auch wieder einige Angriffe klug ein. Hatte wie seine Nebenleute gegen aggressive Spanier nur wenig Zeit. – Note: 4

Jamal Musiala: Hatte einen schweren Stand. Seine Klasse blitzte nur selten auf, ließ sich den Schneid abkaufen. – Note: 4

Kai Havertz: Extrem viel unterwegs. Sein Kopfball war zu unplatziert (21.), das galt auch für seinen Schuss aus 16 Metern (35.) und den Heber in der Schlussphase (82.). Dennoch eine engagierte Leistung. – Note: 3

Robert Andrich: Löste nach dem Wechsel mit seinen pinken Haaren Can ab. Stand beim Treffer von Olmo zu weit vom Gegenspieler weg. Kämpfte sich danach besser rein. – Note: 3

Florian Wirtz: Kam nach der Pause für Sane. Von ihm ging deutlich mehr Gefahr aus als vom Münchner. Bereitete die Chance von Füllkrug stark vor. Traf dann zum Ausgleich. – Note: 2

Maximilian Mittelstädt: Wurde für Raum gebracht, baute Druck über links auf. Seine Hereingaben waren aber zu ungenau. – Note: 3

Niclas Füllkrug: Der Super-Joker wurde für Gündogan gebracht. Hatte sofort seine Momente. Hatte beim Pfostentreffer Pech. – Note: 3

Thomas Müller: Wurde in der Schlussphase reingeworfen. Hätte fast noch in der regulären Spielzeit getroffen. Eine Belebung für das deutsche Spiel. – Note: 2,5

Waldemar Anton: Kam zu Beginn der Verlängerung für den platten Havertz. – ohne Note

(Mit Material vom SID)

AM BALL BLEIBEN

Verpasse keine News und Angebote mehr!

Ja, ich möchte E-Mails erhalten. Abmeldung jederzeit möglich!

FUSSBALL-NEWSLETTER

Trage dich in unseren Fußball-Newsletter ein und verpasse keine News mehr!

Ja, ich möchte Meldungen per E-Mail erhalten. Abmeldung jederzeit möglich!