Das zweite Spiel, der zweite Festtag – und der Einzug ins EM-Achtelfinale ist bereits sicher. Eine entschlossene deutsche Nationalmannschaft hat nach einem phasenweise hitzigen und lange umkämpften 2:0 (1:0) gegen erwartet giftige Ungarn ihr Minimalziel bei der Heim-EM vorzeitig erreicht. Im letzten Gruppenspiel am Sonntag gegen die Schweiz in Frankfurt bleibt nur noch zu klären, ob die DFB-Elf als Gruppensieger in die Finalrunde der EM 2024 einzieht. Die Fans sangen derweil schon: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin.“
Jamal Musiala erzielte als erster Spieler des Turniers einen zweiten Treffer (22.), Kapitän Ilkay Gündogan legte zum passenden Zeitpunkt nach (67.). Dass es am Ende zum verdienten ersten Pflichtspielsieg gegen die Ungarn seit dem „Wunder von Bern“ vor 70 Jahren reichte, lag auch an Rekordmann Manuel Neuer. In seinem bereits 17. EM-Einsatz verhinderte er mehrfach großartig einen Gegentreffer der Mannschaft um den ehemaligen Leipziger Dominik Szoboszlai.
Mit identischer Elf gegen Ungarn
Erstmals bei einem Pflichtspiel lief die deutsche Mannschaft in ihren so begehrten pinkfarbenen Trikots auf – allerdings musste auch der Blaumann übergezogen werden, denn so leicht wie gegen die Schotten hatte sie es nicht. Die Auswahl von Bundestrainer Julian Nagelsmann absolvierten einen Härtetest, sie kämpfte gegen die erwartbaren Widerstände aber unverdrossen an, gab selbst keinen Meter Boden preis.
Die vergangenen drei Spiele gegen Ungarn hatte die DFB-Auswahl nicht gewonnen (zwei Unentschieden, eine Niederlage). Doch Nagelsmann, dessen Vertrag nach dem Achtelfinaleinzug nun in der Tat bis zur WM 2026 Bestand haben wird, wollte das ignoriert wissen. „Angstgegner oder nicht, wichtig ist, was wir auf den Platz bringen“, sagte er in Anlehnung an Adi Preißler vor dem Spiel bei MagentaTV.
Auch vom 5:1 gegen Schottland mochte der Bundestrainer nichts mehr wissen. „Der Sieg am Freitag“, betonte er in der ARD, „ist nur viel wert, wenn wir heute nachlegen.“ Wohl wissend, dass Deutschland nach einem Auftaktsieg gleich bei vier der fünf vergangenen Turniere im zweiten Spiel patzte, nur nicht 2012. Tatsächlich ließ die Elf von Nagelsmann nichts unversucht, die Bilanz nicht zu verschlechtern.
Deutschland begann zum dritten Mal in Serie mit identischer Elf, die Ungarn setzten auf vier Spieler aus der Bundesliga – und Marton Dardai vom Zweitligisten Hertha BSC. „Sie streuen immer wieder lange Bälle ein“, hatte Nagelsmann über die Ungarn gesagt, prompt hätte der erste beinahe zum Erfolg geführt: Nach einem Patzer von Joshua Kimmich rettete Neuer, der mit Torhüter-Legende Gianluigi Buffon (Italien) nach EM-Einsätzen gleichauf liegt, vor dem Freiburger Roland Sallai. 16 Sekunden waren gespielt.
Nagelsmanns Plan, Druck zu machen, war gar nicht so leicht umzusetzen, die Ungarn gingen höchst energisch und robust zu Werke. Sogar Toni Kroos misslang früh ein Pass. Und Nagelsmann besprach sich bereits nach wenigen Minuten mit seinem Co-Trainier Sandro Wagner. Dennoch ergaben sich für Kai Havertz in der Anfangsphase zwei gute Chancen (5. und 11.), der Druck wurde stärker.
Geduldig und aufmerksam suchte die deutsche Mannschaft nach Lücken – und fand sie in einer unübersichtlichen Situation: Willi Orban von RB Leipzig machte nach einem zarten Rempler von Ilkay Gündogan einen Bauchplatscher, Torhüter Peter Gulacsi bekam den Ball nicht zu fassen – und Musiala drosch ihn dann mit Wonne ins Tor, abgelenkt vom auf der Linie postierten Attila Fiala.
Nagelsmann riss die Faust hoch, die Ungarn waren sauer, weil der Treffer auch noch nach VAR-Kontrolle Bestand hatte – und sie wandelten den Ärger sogleich in wütende Angriffe um. Wieder war es Neuer, der einen Gegentreffer verhinderte: Einen prima Freistoß von Szoboszlai aus gut 20 Metern holte er großartig aus dem Tordreieck, dann klärte er von den heranstürmenden Ungarn per Fuß – das Publikum ließ ohrenbetäubenden Jubel folgen.
Die Ungarn blieben gefährlich. Ein Treffer kurz vor der Pause wurde wegen Abseits anerkannt, nach einer Stunde flog ein Kopfball von Barnabas Varga (60.) nach einer Unachtsamkeit von Jonathan Tah nur knapp über das Tor. Kurz zuvor hatte Nagelsmann für Florian Witz und Havertz die Joker Leroy Sane und Niclas Füllkrug auf den Platz geschickt. Dann setzte Nagelsmann schon zu einem enthemmten Jubellauf an: Gündogan hatte nach Einleitung von Musiala und Vorlage von Maximilian Mittelstädt getroffen. La Ola rollte durch das Stadion, die Party begann.
Auf dem Rasen war Deutschland fortan einem weiteren Tor näher als die Ungarn dem Anschlusstreffer – bis Kimmich auf der Linie klären musste (89.). Neuer hatte den Ball nach einer Flanke und einem Rempler von Martin Adam fallen gelassen.
Statistik
Deutschland – Ungarn 2:0 (1:0).
Tore: 1:0 Musiala (22.), 2:0 Gündogan (67).
Schiedsrichter: Danny Makkelie (Niederlande).
Zuschauer: 54.000 (ausverkauft) in Stuttgart.
Stimmen zu Deutschlands EM-Spiel gegen Ungarn
Julian Nagelsmann (Bundestrainer, bei MagentaTV): „Das war ein sehr unangenehmer Gegner, so ein Spiel muss man erstmal gewinnen. Und das zeigt einen guten Reifeprozess, im November hätten wir dieses Spiel noch nicht gewonnen. In meiner bisherigen Amtszeit sind wir auch schon mal eingebrochen, heute hat die Mannschaft nicht immer geglänzt, aber du musst so ein Spiel auch mal bearbeiten. Die Erwartungshaltung im Stadion und in der Kabine waren drei Punkte, und die haben wir geholt. Es war auch defensiv eine gute Leistung, vom Torwart und der gesamten Mannschaft. Alle haben alles gegeben, sie haben sich gegenseitig gepusht, damit wir kein Tor bekommen. Im Spiel gegen die Schweiz wird es jetzt schon wichtig sein, dass wir möglichst viele Spieler aus der ersten Elf wieder auf dem Platz haben, weil wir die Rollen ja bewusst verteilt haben. Wir glauben an die jeweiligen Stärken der Spieler in ihren Rollen. Es kann natürlich sein, dass wir ein, zwei Spieler durchwechseln, wir müssen schauen, wie alle durch dieses Spiel gekommen sind. Aber Stand jetzt sind alle gesund.“
Ilkay Gündogan (Nationalspieler, bei MagentaTV): „Gefühlt wird es bei uns immer besser. Aber während es besser wird, muss man immer auch Schwierigkeiten überstehen, und das hat dieses Spiel heute gezeigt. So ist ein Turnier eben: Man muss gefährliche Situationen überstehen, und dann muss man zuschlagen, wenn sich die Chance ergibt. In der zweite Halbzeit haben wir es sicher runter gespielt. Mit Blick auf meine eigene Leistung wollte ich immer geduldig bleiben, meine Aufgaben so gut wie möglich erfüllen, ohne mich selbst zu wichtig zu nehmen. Aber je öfter man zusammenspielt, desto besser wird das Gefühl für den Nebenmann. Hoffentlich geht es so weiter.“
Manuel Neuer (Nationaltorwart, bei MagentaTV): „Wir wollten die Leistung aus dem Spiel gegen Schottland bestätigen, wussten aber, wie schwer ein zweites Gruppenspiel sein kann. Deshalb freut es uns, dass wir hier so dominant aufgetreten sind und verdient gewonnen haben. Deutschland gehört immer zum Favoritenkreis. Aber wir müssen unsere Hausaufgaben erledigen, das nächste Spiel gegen die Schweiz ist das schwerste in dieser Gruppe. Wir werden alles analysieren und versuchen, den Schwung mitzunehmen.“
Toni Kroos (bei MagentaTV): „Zu viel Ruhe darf jetzt nicht einkehren, wir wollen diese Gruppe ja noch gewinnen. Es gibt wenig Grund, dass jetzt Druck abfällt, weil wir ein größeres Ziel haben als nur das Achtelfinale.“
Toni Kroos (Nationalspieler, in der ARD): „Es ist immer wichtig, Leistungen auch zu bestätigen. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr selten die beiden ersten Turnierspiele gewonnen, und man hat gesehen, dass es schwieriger war als gegen Schottland. Aber wir haben die Situationen gut überstanden. Solche Momente zu überstehen, bringt der Mannschaft enorm viel, weil man dann daran glaubt, dass man es kann. Ab der K.o.-Runde werden diese schwierigen Momente häufig da sein, gegen diese starken Gegner kann es dann immer passieren, dass man in Rückstand gerät. Wir werden hier nicht sieben Spiele von vorne wegspielen.“
Maximilian Mittelstädt (Nationalspieler, bei MagentaTV): „Es ist wichtig, dass wir uns nicht ausruhen. Diese Euphorie, die wir jetzt langsam entfacht haben, wollen wir in die nächsten Spiele reintragen. Für uns ist alles drin. Wir haben in zwei Spielen sehr gute Leistungen gezeigt, und wenn wir die in den nächsten Wochen bestätigen, dann können wir Großes erreichen.“
Die deutsche Mannschaft in der Einzelkritik
Manuel Neuer: Schwang sich mit seinem 17. Einsatz neben Italiens Legende Gianluigi Buffon zum EM-Rekordtorwart auf, war sofort hellwach. Nach 14 Sekunden erstmals geprüft, entschärfte mehrmals stark. – Note: 2
Joshua Kimmich: Leitete die Schrecksekunde zu Beginn ein, fing sich schnell. Solide nach hinten, nach vorne gewohnt zentrumslastig. Hinten raus richtig torgefährlich. Rettete zudem auf der eigenen Linie und hielt so die Null. – Note: 2,5
Antonio Rüdiger: Betete wie gewohnt vor dem Spiel und wusste wohl, warum. Viel gefordert, nicht immer sicher. Gelb wegen Reklamierens war unklug. – Note: 3
Jonathan Tah: Von Rüdiger vor dem Anpfiff umarmt, strahlte der Leverkusener Sicherheit aus. Warf sich unerschrocken in viele Schüsse und klärte, was zu klären war. – Note: 3
Maximilian Mittelstädt: Der Stuttgarter machte in seinem persönlichen Heimspiel lange einen nervösen Eindruck, mit seltenen Stockfehlern. Flankte ungenau, bis er Gündogan vor dem 2:0 mit dem Silbertablett bediente. – Note: 3
Robert Andrich: Obwohl mit Gelb vorbelastet, forderte Nagelsmann von seinem „Worker“ viel „Galligkeit“ ein. Die zeigte er nach wackligem Beginn mit zäher Widerborstigkeit. – Note: 3
Toni Kroos: Trieb sein „linkes“ Spielchen diesmal nicht ganz so stur und entzog sich der Sonderbewachung, indem er auch mal ins Zentrum oder nach rechts rückte. Der Feingeist war sich auch für Grätschen nicht zu schade, als Beruhiger wertvoll. – Note: 2,5
Jamal Musiala: Erster Doppeltorschütze des Turniers. Leitete das 1:0 selbst ein, auch das zweite Tor. Immer anspielbar. Eine Augenweide, auch als defensiver Helfer. Von Nagelsmann beim Auswechseln verdientermaßen umarmt. – Note: 1
Ilkay Gündogan: Der emsige Kapitän verhalf Musiala mit robustem Einsatz zur Führung. Fand die „Zauberer“ um ihn herum nicht ganz so häufig in den Zwischenräumen wie erhofft, war aber selbst als entschlossener Torschütze zur Stelle. – Note: 2
Florian Wirtz: Brauchte eine geschlagene halbe Stunde Anlauf für sein erstes Tänzchen. Dann verbessert, aber nicht gut. Zu wenig eingebunden, zu wenig Initiative. – Note: 4
Kai Havertz: Gab wieder die Neun, aber keine klassische. Ließ sich auf Kosten der Strafraumbesetzung viel fallen, kam dennoch zur ersten Chance. Insgesamt ein undankbares Spiel für ihn. – Note: 3,5
Leroy Sane: Löste Wirtz ab und sollte seine Geschwindigkeit gegen müdere Ungarn einbringen. Schuf damit Räume vor allem für Kimmich, selbst beinahe mit dem 3:0. – Note: 3
Niclas Füllkrug: Ersetzte Havertz. Als echter Neuner band er gleich mehrere Ungarn, was seinen Nebenleuten half. Das ging zu Lasten eigener Abschlüsse. – Note: 3,5
Emre Can: Der Last-Minute-Nachrücker durfte erneut ran, diesmal für Andrich. Als kompromissloser Zweikämpfer sofort drin im Spiel. – ohne Note
Chris Führich: Erster EM-Einsatz in „seinem“ Stadion als Ersatz für Musiala. Suchte zielstrebig selbst den Abschluss, zeigte schöne Dribblings. – ohne Note
Deniz Undav: Durfte als dritter VfBler in der Schlussphase für Gündogan ran. – ohne Note
(Mit Material vom SID)